Das neue ECLASS-Whitepaper stellt ein Konzept einer Distributed-Ledger-basierten Infrastruktur für das Identitäts- und Zugriffsmanagement für industrielle digitale Zwillinge vor. Damit wird ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu den zukünftigen offenen globalen Industrie 4.0-Ökosystemen erreicht.
Im Rahmen dieses Whitepapers wird ein Ansatz zur Realisierung einer gemeinsamen dezentralen Registry für industrielle Digitale Zwillinge vorgestellt.
Fünf praxisrelevante Use Cases erläutern, wie diese dezentrale Registry in der Praxis umgesetzt und angewendet werden kann. Die Anwendungsfälle zeigen, wie die Digitalen Zwillinge und die sie umgebenden Dienste in der Registry registriert und von den Nutzern in verschiedenen Lebenszyklusphasen abgerufen werden können. Darüber hinaus zeigen die Anwendungsfälle, wie die Nutzer von Industrieanlagen mehrere Digitale Zwillinge mit der gleichen Anlage verknüpfen können und wie diese Digitalen Zwillinge anhand einer eindeutigen Anlagen-ID gefunden werden können. Weitere Anwendungsfälle beschreiben die Möglichkeit, die im Digitalen Zwilling bereitgestellten Informationen durch Dritte zu qualifizieren sowie ein dezentrales Identitäts- und Zugriffsmanagement für die im dezentralen Register aufgeführten Dienste zu implementieren. In diesem Konzept wird der ECLASS-Standard hauptsächlich zur Beschreibung der Dienste sowie der Attribute innerhalb von Zertifikaten zur Autorisierung und Qualifizierung von Digitalen Zwillingen verwendet. Die in diesem Whitepaper angesprochenen Herausforderungen sind für verschiedene Domänen relevant, z.B. Automotive, Energie, Handel und Logistik. Um konkreter zu werden, konzentriert sich das White Paper auf die Anforderungen der Industrie 4.0 und erläutert die Lösungskonzepte anhand der technischen Spezifikationen der Asset Administration Shell, der standardisierten Implementierung des Digitalen Zwillings, die von der „Plattform Industrie 4.0“ und der „Industrial Digital Twin Association“ vorgeschlagen wird.
Was ist der Digitale Zwilling?
Die fortschreitende Digitalisierung, die zunehmende Vernetzung und die horizontale Integration in den Bereichen Einkauf, Logistik und Produktion sowie im Engineering, der Wartung und dem Betrieb von Maschinen und Produkten schaffen neue Möglichkeiten und Geschäftsmodelle, die vorher nicht denkbar waren. Klassische Wertschöpfungsketten verwandeln sich mehr und mehr in vernetzte Wertschöpfungsnetzwerke, in denen die Partner nahtlos die relevanten Informationen finden und austauschen können.
Maschinen, Produkte und Prozesse erhalten ihre Digitalen Zwillinge, die alle relevanten Aspekte der physischen Welt in der Informationswelt abbilden. Durch die Kombination von physischen Objekten und ihren Digitalen Zwillingen entstehen sogenannte Cyber Physical Systems.
Über den gesamten Lebenszyklus müssen die im Digitalen Zwilling erfassten relevanten Produktinformationen und Produktionsdaten den Partnern der Wertschöpfungskette jederzeit und an jedem Ort zur Verfügung stehen. Die digitale Abbildung der realen Welt in der Informationswelt, in Form des Digitalen Zwillings, gewinnt daher zunehmend an Bedeutung. Die angestrebte horizontale und vertikale Integration und Kooperation aller Teilnehmer des Wertschöpfungsnetzwerks über Unternehmensgrenzen, Länder und Kontinente hinweg kann jedoch nur auf der Basis gemeinsamer Standards gelingen.
Was ist die Asset Administration Shell?
Die sogenannte Asset Administration Shell (AAS) ist ein gemeinsames Konzept der „Plattform Industrie 4.0“ und von Industrieverbänden wie dem VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V.) und dem ZVEI (Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V.) sowie der „Industrial Digital Twin Association“ zur Realisierung des Digitalen Zwillings. Der AAS soll die standardisierte Basis werden, um die vierte industrielle Revolution voranzutreiben und innovative Anwendungen zu realisieren.
Die Kernelemente eines AAS sind standardisierte, maschineninterpretierbare Informationsmodelle, die die Attribute, Konfigurationsparameter, das Verhalten und die Fähigkeiten von Produkten, Anlagen, Maschinen und deren Komponenten in Form von standardisierten Eigenschaften darstellen. ECLASS spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Der ECLASS-Standard wird von der Industrie 4.0-Community als gemeinsames Vokabular und Lieferant von standardisierter Semantik für den interoperablen Informationsaustausch zwischen Digital Twins gesehen.

Was ist ECLASS?
ECLASS hat sich international als einziger ISO/IEC-konformer Industriestandard etabliert und ist damit der weltweite Referenzdatenstandard für die Klassifizierung und eindeutige Beschreibung von Produkten und Dienstleistungen. Mehr als 4.000 Kunden nutzen bereits erfolgreich die 45.000 Klassen und 19.000 Eigenschaften von ECLASS in 16 Sprachen für den digitalen Datenaustausch. Neben den klassischen Anwendungen in Beschaffung, Controlling, Produktion und Vertrieb zeigt ECLASS seine besonderen Stärken beim Einsatz im unternehmensübergreifenden Prozessdatenmanagement und in Engineering-Funktionen. Der im Jahr 2000 gegründete Verein ECLASS e.V. ist eine Non-Profit-Organisation, die von Unternehmen, Verbänden und Institutionen aus den unterschiedlichsten Branchen und Wirtschaftszweigen getragen wird. Ihr gemeinsames Ziel ist es, den ECLASS-Standard entsprechend den aktuellen und zukünftigen Marktanforderungen auszubauen und seine internationale Anwendung zu fördern.
Warum ist ein gemeinsames Registrierungs- und Identitätsmanagement so wichtig, um Industrie 4.0 zu meistern?
Um die gewünschten flexiblen Wertschöpfungsketten zu schaffen, reichen die einzelnen Digitalen Zwillinge allein nicht aus. Die Assets und ihre Digital Twins müssen in einem offenen digitalen Ökosystem eindeutig identifizierbar und auffindbar sein.
Die derzeit in der Industrie 4.0-Community diskutierten Konzepte basieren auf dem klassischen zentralisierten Ansatz, bei dem die zentralen Plattformen der Vertrauensanker sind, der die Registrierung, das Identitätsmanagement, die Authentifizierung und Autorisierung der Digitalen Zwillinge in einem gemeinsamen Netzwerk übernimmt.
Der zentralisierte Ansatz ist sicherlich ein erster gültiger Schritt zur kurzfristigen Realisierung von Industrie 4.0-Anwendungen, entspricht aber nicht vollständig den langfristigen Visionen von Industrie 4.0, die den stark dezentralen Charakter zukünftiger digitaler Ökosysteme ohne Komponenten, die eine zentrale Monopolstellung einnehmen können und deren Nichtverfügbarkeit den sicheren Betrieb des Gesamtsystems beeinträchtigen kann, betonen.
Distributed Ledger-basierte Infrastruktur im White Paper vorgestellt
Das neue ECLASS-Whitepaper stellt einen Ansatz zu einer vollständig verteilten Lösung der wesentlichen Aufgaben des Identitäts- und Zugriffsmanagements durch die Kombination von DLT, der W3C-Spezifikation dezentraler Identifikatoren (DID), der AAS- und ECLASS-Semantik vor und erläutert, wie dadurch mehrere Nachteile zentralisierter Systeme überwunden werden können.
Die Abbildung 1 zeigt die Gesamtarchitektur des im White Paper vorgeschlagenen dezentralen Registers, das auf dezentralen Identifikatoren (DIDs) und DLT basiert. Dies lässt sich anhand des Grundszenarios erklären. Unternehmen, zum Beispiel die Hersteller, betreiben die Digital Twins verschiedener Assets in ihren privaten vertrauenswürdigen Netzwerken. Die Partner in der Wertschöpfungskette, die das Asset gerade betreiben, wollen auf den Digitalen Zwilling dieser Assets zugreifen. Die genauen Informationen über den Endpunkt (Port und Kommunikationstechnologie, die sie verwenden müssen), um auf den Digitalen Zwilling zuzugreifen, sind dem Asset-Betreiber nicht bekannt. Die Asset-Betreiber kennen nur die DID des Digitalen Zwillings, die sie aus einer eindeutigen Asset-ID ableiten können. Die Registrierung eines Digitalen Zwillings (Schritt 1) erfolgt durch die Einreichung eines DID-Dokuments, das als Transaktion in einem gemeinsamen Datensatz (Distributed Ledger) gespeichert wird. Dieses Dokument wird durch die Digital Twin ID referenziert (Schritt 2), die in diesem System die DID ist, die sich aus der eindeutigen Asset ID ableiten lässt.
Der Asset-Betreiber verbindet sich mit einem der öffentlichen Netzwerkknoten des DLT-Systems und findet die entsprechende Transaktion im Datensatz. Aus dieser Transaktion kann das DID-Dokument extrahiert werden. Das DID-Dokument enthält eine maschinenlesbare Beschreibung, wie auf den Digitalen Zwilling zugegriffen werden kann, einschließlich Endpunktinformationen. Auf den Digitalen Zwilling kann dann von außerhalb des DLT-Netzwerks zugegriffen werden.
Die Abbildung 2 zeigt, wie die Dienste des Digitalen Zwillings selbst innerhalb dieser dezentralen Registry, innerhalb des DID-Dokuments, definiert werden können.
Alle mit einem Digitalen Zwilling verbundenen Dienste können innerhalb des dezentralen Registers im entsprechenden DID-Dokument aufgeführt werden. Für die Definition der Dienste ist der ECLASS-Katalog ein wesentlicher Bestandteil, um sicherzustellen, dass die Dienste semantisch korrekt und maschinenlesbar beschrieben werden. Sobald der Konsument auf das DID-Dokument zugegriffen hat, kann er dieses abrufen und hat damit alle Informationen für den Zugriff auf den Digitalen Zwilling zur Hand.
Der Controller des DID ist dafür verantwortlich, alle erforderlichen Informationen innerhalb des DID-Dokuments bereitzustellen, die die Dienste des Digitalen Zwillings beschreiben. Das DID-Metamodell gibt dem Ersteller eines DID Anweisungen, wie er das entsprechende DID-Dokument strukturieren und aufbauen muss, um Kompatibilität und semantische Korrektheit zu gewährleisten.
IOTA Tangle als Infrastruktur für digitale Zwillinge
Technisch gesehen können die im White Paper vorgestellten Konzepte von fast jeder DLT umgesetzt werden. Allerdings ist nicht jedes DLT geeignet, um die Basis für die von Industrie 4.0 angestrebten offenen digitalen Ökosysteme zu werden.
Die Anforderungen an ein solches zukünftiges digitales Ökosystem sind in der Vision 2030 für Industrie 4.0 explizit genannt: Offenheit, Dezentralität, Unterstützung von Heterogenität und Vielfalt im Markt, keine Teilnehmer mit übergeordneten Rollen und Monopolstellungen.
In privaten und konsortialen Blockchains werden beispielsweise die Steuerungsaufgaben an eine qualifizierte und bekannte Partei oder Gruppe vergeben, was dieser Gruppe automatisch die überlegenen Rechte und eine Art Monopolstellung gegenüber den restlichen Teilnehmern gibt. Per Definition implizieren private und konsortiale Blockchains keinen offenen Charakter des Netzwerks und Ökosystems.
Öffentliche Blockchain-Netzwerke haben noch erhebliche Mängel: niedrige Transaktionsrate, begrenzte Skalierbarkeit und extrem hoher Energieverbrauch. Darüber hinaus ist der Kauf von elektronischer Währung (Kryptowährung) notwendig, um die Informationen zu übertragen. Das ist oft mit erheblichen regulatorischen Hürden und übermäßigem Verwaltungsaufwand verbunden. Darüber hinaus ist eine Tendenz zur De-facto-Zentralisierung der „Miner“ auf wenige große Mining-Pools zu beobachten.
IOTA löst die grundlegenden Defizite der Blockchain und stellt als Open-Source-Technologie eine Alternative zu öffentlichen Blockchains dar. IOTA Tangle bietet als globales öffentliches Netzwerk die notwendigen Eigenschaften, um eine Basis für die Infrastruktur zukünftiger offener digitaler Industrie 4.0-Ökosysteme zu werden.
Da das IOTA-Netzwerk keine Transaktionsgebühren verlangt, können die im Rahmen des ECLASS-Whitepapers benötigten Datentransaktionen kostenlos abgewickelt werden. Die Möglichkeit, auch Finanztransaktionen, einschließlich Mikrotransaktionen, mit IOTA zu versenden, erlaubt einen einfachen Wechsel zu Geschäftsmodellen, die Mikropayments nutzen.
Durch das breite Ökosystem von Anwendern und Anwendungsfällen fließen die gesammelten Erfahrungen ständig in die Weiterentwicklung von IOTA ein und entsprechen den Anforderungen, das Standardprotokoll für das IoT und offene digitale, unternehmensübergreifende Ökosysteme zu werden.
Als Weiterentwicklung der im ECLASS Whitepaper vorgestellten Konzepte wird die Integration mit der IOTA Open Source Technologie den Anforderungen an Sicherheit, Datenintegrität und Datenhoheit gerecht. Integrierte Layer-2-Funktionalitäten wie IOTA Access können eine Grundlage für die Verwaltung von Zugriffsrechten auf industrielle Assets und deren Digital Twins bieten. IOTA ist so konzipiert, dass es hoch skalierbar und komplementаr ist und ein harmonisches Ganzes bildet, um die Visionen der I40 zu realisieren.
Das IOTA-Mainnet wird Schritt für Schritt auf die vollständige Dezentralisierung vorbereitet. Mit den neuesten Updates auf IOTA 1.5, wird es schnell unternehmensfähig. Das erste Testnetz bietet die beste Gelegenheit für Unternehmen, Industrieverbände und Konsortien, ihre Ideen zu erforschen, neue Produkte und Geschäftsmodelle auf dem IOTA-Netzwerk zu entwickeln und die vierte industrielle Revolution gemeinsam zu gestalten und zu meistern.
Autoren: Alexander Belyaev & Alaettin Dogan
Original: https://blog.iota.org/eclass-presents-the-distributed-ledger-based-infrastructure-for-industrial-digital-twins/
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